Wirtschaftsspiegel Thüringen - Ausgabe 1/2020

Thüringen 29 allen Ernstes meinen Mann um Erlaub- nis gefragt, ob ich den Job annehmen darf.“ Wirklich wohl fühlte sie sich dann auch nicht in dem Unternehmen. „Von wegen Freiheit. Dort ging es wie in ei- nem sozialistischen Großbetrieb zu. Alles war reguliert. Ich kam mir vor wie bei Zeiss. Das zu erleben, war eine große Enttäuschung.“ Nach einem Jahr und zehn Monaten zog sie den Schluss- strich, kündigte und gründete 1992, ge- meinsam mit dem Ex-Vizepräsidenten von Balzers, in Jena die Firma VACOM. Mit einer Bürokraft und einem Azubi ging es los. Heute gehören zum Team von Ute Bergner rund 300 Mitarbeiter – dazu zählt auch noch immer ihr aller- erster Azubi. 1997 trennte sich die Physikerin von ih- rem Kompagnon und führte die Ge- schäfte alleine weiter. Sie erinnert sich: „Bis dahin war es wirklich eine schwie- rige Zeit: ich, die kleine Labormaus aus der DDR und er, der vom westlichen System geprägte Topmanager. Wir hat- ten viele Konflikte, konnten uns dann aber zumindest auf Augenhöhe tren- nen.“ Dankbar sei sie ihm dennoch, denn allein hätte sie sich zu dem Zeitpunkt damals nicht getraut, eine eigene Firma zu gründen. Bis 2009 war VACOM in verschiedenen Wohn- und Geschäftshäusern in Jena- Ost ansässig. Doch irgendwann reichte der Lager- und Arbeitsplatz nicht mehr aus. Den ersehnten Platz fand Ute Berg- ner vor zehn Jahren vor den Toren Jenas, auf einem Acker in Großlöbichau. Seit- her hat sich die Firma stetig vergrößert – und tut es noch. Neben der Fertigung von Vakuumtech- nik, mit der VACOM europaweit zur Spit- ze gehört, widmet sich das Unterneh- men seit 2005 verstärkt der Reinigung von Bauteilen. Ute Bergner dazu: „Man kann ja nur verbessern, was man auch messen kann. Wir haben daher ein Messverfahren entwickelt, um Kohlenwasserstoff auf Oberflächen zu messen. Und zwar bis zu einem Nanogramm pro Quadratzentimeter. Das ist so, als würde man drei Tropfen Öl auf einem Fußballfeld suchen.“ Mit diesem messbaren Reini- gungsverfahren hat sich VACOM weltweit ein Allein- stellungsmerkmal geschaffen. Neben dem Wachstum der Firma ist es der Unterneh- menschefin auch wichtig, dass es ihren Mitarbeitern gut geht. So verfügt VACOM nicht nur über eine haus- eigene Kantine, einen Betriebskindergarten und ver- sorgt seine Mitarbeiter mit ein Job-Bus-Tickets – Ute Bergner setzte sich bei der hiesigen Verkehrsgesell- schaft auch dafür ein, dass genau vor dem Firmen- gelände eine Bushaltestelle geschaffen wurde und die Busse das Gelände zum Schichtwechsel anfahren. Seit etwa zehn Jahren teilt sich die 62-Jährige den Geschäftsführerposten mit ihrem ältesten Sohn Jens Bergner, einem gelernten Groß- und Außenhandels- kaufmann. Anfangs war er nur für den operativen Be- reich im Unternehmen zuständig. Doch langsam über- nimmt er auch immer mehr Verantwortung für den strategischen Part. Das ist auch notwendig, denn seine Mutter ist seit kurzem auch Abgeordnete im Thüringer Landtag und dadurch nur noch ein bis zwei Tage die Woche im Unternehmen. Ute Bergners politisches Interesse und Engagement kommt nicht von ungefähr. Bereits mit 19 war sie Mitglied in der LDPD, der liberalen Partei der DDR, die nach der Wende mit der FDP verschmolz.„ Ich komme aus einem liberalen Elternhaus. Mein Großvater war Mitbegründer der LDPD in Thüringen. Deshalb war es bei uns in der Familie Tradition, da einzutreten. Außer- dem hab ich es auch als kleines Zeichen des Protests gesehen,“ so die FDP-lerin. Den Vereinigungsparteitag der LDPD und der FDP 1990 habe sie aktiv mitgestal- tet, war zu der Zeit FDP-Vorsitzende in Jena und leitete aktiv den ersten Bundestagswahlkampf. Damals holte die FDP in Jena übrigens 18 Prozent. Mit der Gründung ihrer Firma 1992 beendete sie ihr politisches Engagement erst einmal, blieb aber Mit- glied der FDP. Im vergangenen Jahr ließ sie sich von Jenas Oberbürgermeister Thomas Nitzsche und Thü- ringens FDP-Chef Thomas Kemmerich jedoch überzeugen, ihre politische Karriere wieder aufzunehmen und als Landtagsabgeordnete zu kandidieren. Während ihre Partei landesweit ledig- lich von fünf Prozent der Thüringer ge- wählt wurde, holte Ute Bergner in ihrem Wahlkreis 10,4 Prozent der Erststimmen und 7,9 Prozent der Zweitstimmen. Ihr schlichtes Wahlkampfmotto lautete: „Einfach machen!“ Ute Bergner dazu: „Wir brauchen im Land endlich eine Fehlerkultur. Unsere bisherige Null- fehler-Politik bringt uns nicht weiter. “ Diese Kultur habe sie auch immer in ihrer Firma gelebt: Fehler dürften hier gemacht werden. Nur nicht zweimal hintereinander derselbe. Ute Bergner: „Fehler kann man korrigieren. Dinge nicht zu tun aus Angst, sie falsch zu ma- chen, ist viel schlimmer. Das bedeutet Stillstand.“ Genau den kennt Ute Bergner nicht. Je- de ihrer Lebensminuten füllt sie mit et- was Sinnvollem aus. Widmet sie ihre Aufmerksamkeit nicht der Arbeit, der Politik oder einem ihrer unzähligen Ehrenämter, verbringt sie ganz viel Zeit mit ihren drei Kindern und 13 Enkel- kindern – die älteste Enkeltochter ist 16, die jüngste drei Monate alt. Von al- len hängen in ihrem Büro Bilder. Aber wie schafft sie es nur, all diesen Ver- pflichtungen gerecht zu werden? Ein gutes Zeitmanagement sei der Schlüs- sel, so die 62-Jährige. Neben beruflichen und familiären Terminen plane sie auch Sport, Ruhephasen und Urlaube mit ein. Dann sei das alles machbar. „Denn,“ so sagt sie, „was nicht geplant ist, wird auch nicht gemacht.“ Und da ist man wieder beim Thema Stillstand. Ein Begriff, den man in Zu- sammenhang mit Ute Bergner wohl nie- mals verwenden würde. (sg)

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